Großartige Nähe aus gebührendem Abstand
Als hätten Mitarbeiter einer DRK-Sozialstation nicht genug zu tun: zur Pflege, Medikamentengabe, Betreuung und Fürsorge übernehmen die Parchimer in Zeiten der Pandemie auch Einkäufe, Reinigung und ganz besondere Aktivitäten.
06:15 Uhr: „Rüstzeit“ in der DRK-Sozialstation in der Parchimer Weststadt: Die Mitarbeitenden kommen in kleinen Gruppen. Einer liest jeweils aus dem Übergabebuch vor – so wissen alle Bescheid. Zum Bereitstellen der Medikamente setzen sich Frauen und Männer an den Tisch. Immer zwei Stühle bleiben frei. Der vorgeschriebene körperliche Abstand ist notwendig. Die Verbundenheit wächst jedoch mit jedem Tag. „Die Kollegen helfen einander, wo es nur geht. Das ist einfach großartig“, schwärmt Carolin Fritzsche, die Pflegedienstleiterin. Bevor es auf Tour geht, wird die persönliche Schützausrüstung erneuert: Handschuhe und Desinfektion liegen bereits in den Autos. Carolin Fritzsche verteilt Schutzmasken. Auch kunterbunte, die Angehörige, Ehrenamtliche des DRK oder die Hauswirtschafterin selbst genäht haben.
06:30 Uhr: Hausbesuche bei den Pflegebedürftigen und jenen Senioren, die eigentlich die Tagespflege besuchen. Sie bekommen ihr Frühstück jetzt daheim serviert. Schwester Julia absolviert mit ihren fünf Klienten das ganze Programm zum Start in den Tag, erkundigt sich nach dem Wohlbefinden und beantwortet die immer wieder gleichen Fragen, die während der Pandemie allen Sorgen bereiten. Ein Lächeln noch, einmal winken – Julia geht, Zuversicht bleibt.
09:50 Uhr: Zeit für eine Pause. Mit Sabrina Teichert, der stellvertretenden Pflegedienstleiterin, plant Julia als alleinerziehende Mutter in der Sozialstation die Einsätze an den nächsten Tagen. Schon wieder klingelt das „Corona“-Telefon: Klienten sind verunsichert. Angehörige können sich selbst nicht mehr so viel kümmern. Betreuungs- und Entlastungsleistungen haben Konjunktur, Verhinderungspflege nimmt ungeahnte Ausmaße an. Da Oma und Opa bei Schwester Julia zur Kinderbetreuung einspringen, kann sie ihr Team weiterhin verstärken. Sie wird dringend gebraucht.
10:20 Uhr: Bernd Möller wartet schon. Auf Julia und eine gute Nachricht. Für einen Wettbewerb seiner Behindertenwerkstatt, die er Corona-bedingt nicht besuchen kann, hat er ein Bild eingereicht. „Meine Kollegin hatte ihm eigens dafür Material besorgt. Kleben nach Zahlen, Herr Möller war begeistert“, weiß die Pflegefachkraft. Der 60-Jährige versteht die Pandemie-Situation nicht. Jede Ablenkung ist Balsam für seine Seele. Malen, Vorlesen, Spielen – alles gibt Halt.
10:45 Uhr: Bei Christiane Francke liegen Beutel, Portmonee und Einkaufszettel schon auf dem Tisch. „Erdbeeren. Ich möchte so gern noch Erdbeeren haben“, ruft die Seniorin Schwester Julia in den Flur hinterher. Eine Viertelstunde später kehrt die vom Supermarkt zurück, mit prall gefülltem Einkaufsbeutel. Und mit Erdbeeren. Christiane Francke hält das Schälchen wie einen Schatz. „Sie sind ein Engel“, sagt sie noch, bevor sie den Kühlschrank auffüllt.
11:30 Uhr: Jetzt ist ein Spaziergang angesagt. Nicht irgendeiner: Julia begleitet Helmut Gehrmann und seinen Hund. Der 82-Jährige ist an Demenz erkrankt, er braucht dringend Strukturen. Eine davon ist das selbstständige Abholen seines Mittagessens aus der Cafeteria des nahe gelegenen Pflegeheims. Mit Kochtopf im Beutel und dem Vierbeiner an der Leine geht es gemeinsam durch den Sonnenschein. Das gibt Sicherheit. Und eine leckere Mahlzeit.
12:15 Uhr: Auch Hildegard Harke holt sich normalerweise ihr Mittag selbst. Jetzt bringt Julia es vorbei. Blutzucker-Check, ein gemeinsamer Blick in den kleinen Garten und vor allem Trost spenden – das tut der 79-Jährigen gut. Sie hat vor kurzem ihren Sohn verloren. Aufmunternde Worte von Schwester Julia trocknen die Tränen. In der Küche fegt und wischt die junge Frau noch einmal durch. Jetzt ist alles fertig für das Essen. Guten Appetit.
13:00 Uhr: Feierabend. Zu Hause werden noch zwei der selbst genähten Schutzmasken ausgekocht und zum Trocknen aufgehängt. Um sich und alle Klienten zu schützen. „Die warten in dieser schwierigen Zeit noch viel mehr auf uns. Was für ein gutes Gefühl, so gebraucht zu werden“, sagt Julia.
Text: Barbara Arndt